Die Zwerge der Neubürg
Die Zwerge der Neubürg gehörten einst zum Gefolge Wotans. In grauer Vorzeit stand der Legende nach eine mächtige Burg auf der Neubürg. Unter der Burg aber hauste, tief unten in einer Höhle, ein Völkchen gutmütiger Zwerge. Einzelne wurden bald da, bald dort gesichtet. Ein Schäfer will sogar einmal mit ihnen gesprochen haben. In größerer Zahl gingen sie nur nachts raus. Meistens halfen sie den Menschen. Manch ein Bauer wunderte sich, dass seine Feldarbeit am Morgen bereits erledigt war.Besonders in der Schöchleinsmühle gingen sie nachts ein und aus. Wenn der Müller, seine Familie und seine Gesellen alle schliefen, reinigten und netzten sie das Mahlgut, mahlten das Getreide und füllten die Mehlsäcke. Am gnädigsten zeigten sie sich einmal einem armen Schäfer gegenüber. Eines schönen Sommertages hütete er am Hang der Neubürg seine Schafe. Er zog ein Stück trockenes Brot aus seiner Tasche und gab, obwohl er selbst Hunger litt, auch seinem Hund einen Brocken ab. Doch zu seiner Verwunderung verschmähte dieser ihn. Als sein Hund auch in den nächsten Tagen die Nahrung verweigerte, fürchtete er sein treuer Begleiter sei krank. Doch das konnte nicht sein, denn das Tier legte an Gewicht zu, wurde immer lebhafter und sein Fell wurde glänzender. Er vermutete, dass der Hund von jemandem gefüttert wird. Es gelang ihm jedoch nicht, ihm zu folgen. So band er, auf Anraten seiner Frau, ein Wollknäuel ans Halsband seines Hundes und folgte dem abgerollten Garn. Es führte in ein Felsloch direkt am Fuße des Hochsteins. Er kroch dem Faden folgend immer tiefer ins Innere der Neubürg und kam nach langer Zeit in eine schummrig erleuchtete Höhle. Dort fand er seinen Hund unter Zwergen sitzen, die an einem Tischlein saßen, vortreffliche Speisen aßen und auch den Hund damit fütterten.
Als der Hund unruhig wurde, bemerkten die Zwerge den ungebetenen Gast. Doch sie waren freundlich und luden den Schäfer, dem der Hunger ins Gesicht geschrieben stand, sogleich ein sich zu ihnen zu setzen und am Mahle teilzunehmen. Das ließ sich der Schäfer nicht zweimal sagen. Fühlte er sich in der seltsamen Gesellschaft doch sehr wohl. Doch am Schluss seufzte er und sagte: „Ach, ich wollte meine gute Frau könnte auch einmal so köstlich speisen.“ Da gaben ihm die Zwerge aus Mitleid die Tischdecke mit. „Wenn du diese Decke auf einem einfachen Holztisch ausbreitest“, sagte einer der Zwerge, „wird er sich mit allen Speisen und Getränken füllen, die du begehrst. Du darfst nur niemanden dieses Geheimnis verraten!“
Der Schäfer bedankte sich herzlich und gelobte das Geheimnis nicht zu verraten. Von dem Tag an lebten der Schäfer und seine Frau wie im Schlaraffenland und luden auch viele Gäste ein, in dieser tristen Gegend gab es ja viele arme Leute. Der Schäfer hat sich sehr darum bemüht sein Versprechen zu halten, doch eines Abends, nach reichlichem Weingenuss, gestand er seiner Frau das Geheimnis. Von diesem Tag an hatte die Decke ihre zauberhafte Wirkung verloren und den beiden Schäferleuten blieb Wassersuppe als tägliche Kost bis an ihr Lebensende.
Das Verschwinden der Zwerge
Schon lange hat niemand mehr nachweisbar einen Zwerg in der Nähe der Neubürg gesehen. Bewohner der Gegend wollen dafür eine Erklärung haben: Vor einiger Zeit floss aus dem sogenannten Zwergenbrunnen das Wasser tagelang nur noch blutrot aus der Erde, seitdem trägt er auch den Namen „Blutsquelle“. Vielleicht sind die Zwerge in Streit geraten und haben sich gegenseitig erschlagen.
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